Verfassungsschutz entdeckt den Denkmalschutz oder: Wenn in Niederösterreich ein Sticker geklebt wird…
Wir dokumentieren die Zusammenfassung des Rechtsinfokollektivs eines Zwischenfalls rund um eine Dollfuß-Gedenkstätte in Niederösterreich, welcher die Behörden erstaunlich intensiv beschäftigte und eine seltsame Erwähnung im Verfassungsschutzbericht fand:
„Am 13./14. April 2019 wurde in Kirnberg/Niederösterreich das Soldatendenkmal samt Dollfuß-Gedenkstätte beschädigt und beschmiert. Die mutmaßlichen Täter – ortsfremde Teilnehmer einer in der Region abgehaltenen Veranstaltung – konnten ausgeforscht werden.“ (Verfassungsschutzbericht 2019, S. 24)
„Was? Es gibt in Niederösterreich eine Dollfuß-Gedenkstätte?“ werden sich historisch interessierte Leser*innen fragen. Das historische Vermächtnis des austrofaschistischen Kanzlers Engelbert Dollfuß ist schließlich die Verwandlung der Alpenrepublik in eine Diktatur sowie die mörderische Zerschlagung linker Strukturen und der Arbeiter*innenbewegung.
Dass eine solche menschen- und verfassungsfeindliche Person nach wie vor verherrlicht wird, interessiert das „Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung“ (LVT) logischerweise nicht.
Stattdessen wurde die Sachbeschädigung zum Anlass für einen Repressionsschlag gegen die aktuelle Linke genommen. Soweit bekannt ist, konnte aber kein*e Täter*in ausgeforscht werden, die Ermittlungen gegen die – uns bekannten – vorgeladenen Personen wurden allesamt eingestellt.
Die Ermittlungen waren äußerst skurril:
Alle Personen, die verdächtigt wurden, waren erst am Tag nach der Sachbeschädigung von der Polizei an einem anderen Ort – nämlich einem in Kirnberg stattfindenden links-politischem Seminar, dass von der Polizei unterbrochen wurde – kontrolliert worden. Einziger Verdachtsmoment schien die antifaschistische Grundhaltung der Personen sowie ihre Anwesenheit im selben 1000-Seelen Ort gewesen zu sein.
Zunächst wurden drei Personen als Zeug*innen geladen. Als sie die Aussage verweigerten, wurde noch während der Vernehmung ihr Status in den von Beschuldigten umgewandelt und es wurden ihnen zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen.
Die Abdrücke sollten mit einem Sticker, welcher auf dem Denkmal platziert wurde abgeglichen werden. Die gegen diese Maßnahme eingelegte Beschwerden, wurden vom Verwaltungsgericht Wien abgewiesen, da es zu der Ansicht kam, dass gegen die Personen schon ein Anfangsverdacht vorgelegen wäre, bevor sie als Zeug*innen geladen wurden. Demnach hat das LVT diese Personen fälschlicherweise als Zeug*innen vorgeladen und suggeriert, sie wären verpflichtet gewesen eine wahre und vollständige Zeug*innenaussage abzulegen. Dies kann als Strategie gewertet werden, Informationen von politischen Zusammenhängen zu bekommen.
In weiterer Folge wurden alle anderen Teilnehmer*innen des Seminars einzeln vorgeladen und befragt und einer zwangsweisen erkennungsdienstlichen Behandlung (Fotos, Fingerabdrücke) unterzogen. Alle Vorgeladenen verweigerten jegliche Aussage.
Erst Ende 2019 wurden alle Strafverfahren, die gegen diese Personen geführt wurden, eingestellt.
Der im Herbst 2020 erschienene Verfassungsschutzbericht 2019 rief uns die Ereignisse noch einmal in Erinnerung. Es ist bezeichnend für den österreichischen Verfassungsschutz, dass er die Beschmierung eines Denkmals zum Gedenken an einen Faschisten und Antisemiten, der die Republik mittels eines Putsches in eine Diktatur umwandelte, politische Gegner*innen in Lager sperrte und das österreichisches Bundesheer auf Gemeindebauten schießen ließ, als erwähnenswert im Verfassungsschutzbericht findet. Auch wenn diese Kommentierung von Statuen, Denkmälern und dergleichen strafrechtlich relevant sein kann1, ist sie doch eher als geschichtsbewusstmachende Aktion zu sehen, denn als „verfassungsfeindlicher“ Angriff. Protestierende auf der ganzen Welt kommentieren Denkmäler für Rassist*innen, Sklavenhändler*innen und Kolonialist*innen auf diese und ähnliche Weise und diese Aktionen werden – außer von Reaktionären – positiv bewertet.
Wie eingangs zitiert, steht im letztveröffentlichten Verfassungsschutzbericht, dass die „mutmaßlichen Täter“ ausgeforscht worden wären. Alle uns bekannten Strafverfahren wurden jedoch eingestellt. Dass sich in dem Verfassungsschutzbericht 2019 die vermutlich falsche Behauptung – die vermeintlichen Täter*innen wären ausgeforscht worden – findet, ist dabei nur nebensächlich. Die Tatsache, dass sich in diesem Bericht ein ganzes Kapitel zu Antifaschismus als Bedrohungsszenario („Linksextremes Aktionsfeld Antifaschismus“) findet, zeigt, welche ideologische Ausrichtung die Institution LVT hat und lässt nur einen Schluss zu: Der Verfassungsschutz muss abgeschafft werden!
1 Ein Bild von dem „beschmierten Denkmal“ sowie die Beschreibung der Tat „Neben einer umgetretenen Laterne rissen die Täter auch einen Poller heraus, zerstörten Blumen und beklebten die Dollfuß-Gedenktafel mit einem Pickerl mit dem Schriftzug ‚Antifa-Oida‘.“ finden sich hier: https://www.noen.at/melk/kirnberg-zerstoerung-bei-dollfuss-denkmal-kirnberg-an-der-mank-kriegerdenkmal-dollfuss-denkmal-zerstoerung-linksradikale-143774283
Auf dem Foto ist nicht klar erkennbar, ob die umgeworfenen Steinblöcke und Laternen tatsächlich beschädigt oder nur umgestoßen und ohne weitere Schäden wieder aufstellbar sind.