Ex-BVT-Agent Ott zapfte offenbar illegal Daten zu Antifaschisten ab
Wir dokumentieren den Artikel im Standard zur besorgniserregenden Praxis ehemaliger Verfassungsschützer Datenbankabfragen über linke Aktivist*innen durchzuführen:
Der unter Spionageverdacht stehende Ex-Verfassungsschützer soll sich unerlaubt Informationen über linke Aktivisten beschafft haben. Was wollte er damit?
573 Seiten stark ist der Stoß der „Faktenblätter D“ zur Causa Egisto Ott. Darin haben die Ermittler der AG Fama notiert, welche Informationen der damalige Verfassungsschützer aus den vertraulichen Datenbanken unerlaubt abgefragt hat. Hunderte Menschen wurden so mutmaßlich illegal ausgespäht. Der Großteil der Vorgänge hat einen Bezug zu seinem ehemaligen Vorgesetzten Martin Weiß, seinerzeit Chef der mächtigen Abteilung 2 im damaligen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).
Zu Erinnerung: Ott und Weiß waren für den früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek tätig, der offenbar seit Jahren für russische Geheimdienste Spionage betreibt. Folgendes Muster wollen die Ermittler erkannt haben: Marsalek gab Aufträge, Weiß reichte sie weiter, und Ott führte die Wünsche aus – vor allem in Form von Datenbankabfragen.
Ott besorgte für Marsalek nicht nur die Wiener Adresse des bekannten Kreml-kritischen Journalisten Christo Grozev, was einen Einbruch der Handlanger von Wladimir Putin zur Folge hatte – DER STANDARD berichtete. Auch für weitere Interessenten zapfte der Beamte wohl illegal Datenbanken an, und das offenkundig für Geld.
Dutzende Antifaschisten ausgespäht
Ein ausgespähter Personenkreis, der aus der Fülle der Fälle heraussticht, ist im am 23. Mai 2023 angelegten Faktenblatt beschrieben: Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie deren Angehörige und Freunde. In der Kategorie „Opfer“ werden 24 Personen genannt – es wirkt so, als ob jemand eine Art Wunschliste genannt hätte.
Ott scheint gern geholfen zu haben: Dem Behördenpapier zufolge hat er deren Daten an sechs Tagen zwischen April 2016 und Oktober 2017 heruntergeladen. Gespeichert hat er sie unter anderem in einem Ordner, den er „LEX“ nannte, was behördenintern für Linksextremismus steht.
Angebliche Bitte aus Italien
Die Beweggründe für Otts Abfragen liegen noch im Dunklen. Zwar erwähnen die Ermittler die Anfrage eines italienischen Polizisten, die sich in einem E-Mail-Account des Staatsschützers fand. Otts Kontakte ins südliche Nachbarland waren seit jeher vital, im Geburtsland seiner Mutter parliert er fließend, zeitweise diente er sogar als Verbindungsmann des österreichischen Innenministeriums in Rom. Doch wieso stellte der italienische Kollege die Anfragen nicht offiziell? Warum führte der nicht zuständige Ott solche Jobs aus, obwohl sie ihm Probleme bereiten könnten? Aus welchem Grund interessierte sich der Kollege für Wiener Antifaschisten?
Auffällig ist, dass Ott bei der Aktivistin Julia Spacil gleich zweimal innerhalb weniger Monate eine Abfrage vorgenommen haben soll: sowohl im Februar 2017 als auch Ende Oktober 2017, wenige Tage nach der Nationalratswahl. Spacil sagte auf Anfrage des STANDARD, sie habe bislang nichts von den Vorgängen gewusst. In Erinnerung ist ihr, dass sie im Februar 2017 ein Drohschreiben erreichte, das aber wohl schon zuvor verfasst worden war.
Im Juni wurde dann klar, dass ihre bis dahin nur einem kleinen Kreis bekannte Wohnanschrift in die rechtsextreme Szene durchgesickert war: Unbekannte verklebten ihr Schloss und beschmierten die Türe in einschlägiger Weise. Die Attacke kam besonders überraschend, denn wegen der Bedrohungslage galt damals eine Meldesperre für Spacils Adresse.
Ob es einen Zusammenhang mit Otts Abfragen gibt, ist unklar.
Ott lieferte auch Daten zu Max Zirngast
Neben Spacil sprach DER STANDARD noch mit einer zweiten von Ott ausgespähten Person: Alexander Winkler erklärte wie Spacil, dass er damals an keinen Veranstaltungen oder politischen Terminen in Italien beteiligt war. Auch bei den anderen betroffenen Personen, die zu ihrem Freundeskreis gehören, seien ihnen keine Aktivitäten südlich des Brenners in Erinnerung.
Angesichts der aus rechtsextremen Kreisen massiv bedrohten Julia Spacil drängt sich noch eine weitere Frage auf: Hat Ott die sensiblen Daten anderen Empfängern in Österreich ausgehändigt?
Zur fraglichen Zeit soll Ott bereits eifrig für seine russischen Auftraggeber tätig gewesen sein. Inwiefern er damals Kontakte in den österreichischen Politkosmos pflegte, muss noch geklärt werden. Später sind Verbindungen vor allem zur FPÖ dokumentiert.
Einige Monate später lieferte Ott abseits des offiziellen Dienstwegs jedenfalls Informationen über den Kommunisten Max Zirngast, der damals in der Türkei inhaftiert war, ans Außenministerium – und zwar an den dortigen Generalsekretär Johannes Peterlik. „Vielleicht ist er ja ein Agitator?“, schrieb Ott an Peterlik, gegen den im Zusammenhang mit der Weitergabe der hochgeheimen Formel für das russische Nervengift Nowitschok ermittelt wird.
Für die Ermittler gibt es jedenfalls viel zu tun: Hunderte Personen hat Ott in den vergangenen Jahren ausgespäht. Manche wurden bereits als Zeugen vernommen; die linken Opfer wurden noch nicht zu den Vorgängen befragt. Bis sich der Untersuchungshäftling dazu und zu all den anderen Aspekten äußern wird, dürfte es ohnehin noch dauern. Otts Rechtsanwalt erklärte am Freitag auf Anfrage des STANDARD, er lese sich gerade erst in den umfangreichen Akt ein. (Oliver Das Gupta, Fabian Schmid, 7.4.2024)