Verschärfungen im Versammlungsrecht deutlich spürbar

Wir dokumentieren die Hinweise des Rechtsinfokollektivs zu den Verschärfungen im Versammlungsrecht:

2017 wurde das Recht, sich zu versammeln, weiter beschränkt. Die Novelle  wurde stark kritisiert. In der Gesetzesänderung wurde u.a. die Anmeldefrist für Versammlungen von 24 auf 48 Stunden erhöht und ein sogenannter „Schutzbereich“ für Versammlungen eingeführt. De facto handelt es sich bei dem „Schutzbereich“, um eine Verbotszone, denn im Umkreis von 50 Metern zu einer Versammlung darf ohne vorherige Genehmigung keine weiter Versammlung stattfinden. Beide Verschärfungen haben zu vielen absurden Verwaltungsstrafen geführt.

Anmeldefrist für Versammlungen: 48 Stunden

Rassistische und misogyne Morde, drohende Abschiebungen, das Bekanntwerden von furchtbaren Lebensbedingungen, rechtsextreme und antisemitische Angriffe, Verhaftungswellen: Wer deswegen in Österreich zeitnah eine Versammlung veranstaltet, muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen, weil die 48-stündige Anmeldefrist klarerweise nicht eingehalten werden kann, wenn spontan auf ein Ereignis reagiert werden soll. Wegen genau solcher Versammlungen wurden in den letzten zwei Jahren Strafen an Organisator:innen ausgestellt und das nicht nur in Einzelfällen, sondern als gängige Behördenpraxis in ganz Österreich, wie die folgenden Fälle zeigen:

Ein Rechtsextremer erschießt in Hanau am 19.2.2020 aus rassistischen Motiven neun Menschen. Am Tag darauf findet in Wien eine Kundgebung statt, die die rassistischen Morde thematisierte.

Am 16.5.2020 findet in Bleiburg (Kärnten) eine Versammlung gegen das faschistische Ustascha-Gedenken statt. Am Ende und nach Auflösung der angemeldeten Versammlung bildet sich spontan ein Demonstrationszug, der sich – mit Zustimmung des Einsatzleiters – vom Endpunkt noch 500 Meter weiterbewegt.

Antisemitische Attacken in Graz: Die Grazer Synagoge wird beschmiert und beschädigt, der Präsident der Jüdischen Gemeinde Graz wird am 22.08.2020 vom mutmaßlich gleichen Täter mit einem Holzprügel angegriffen. Am Tag darauf wird eine Versammlung mit dem Thema „Angriffe auf die Synagoge Graz und den IKG-Präsidenten“ abgehalten.

Im Juni 2020 wird in Innsbruck für die Freilassung von Sugar und eine Bleibemöglichkeit demonstriert. Sugar befindet sich zu dieser Zeit in Schubhaft und soll nach Nigeria abgeschoben werden.

Auch am 17.1.2021 findet in Innsbruck eine Kundgebung gegen die Inhaftierung einer Familie und ihre drohende Abschiebung statt.

Im Herbst 2020 gibt es eine Spontandemo in Wien gegen die drohende Abschiebung von Mustafa S.

Anfang Dezember 2020 wird in Wien gegen eine Charta-Abschiebung nach Russland protestiert. Eine Versammlung wird hier rechtzeitig angemeldet, der Versammlungsort musste aber kurzfristig geändert werden.

Auf die Abschiebung von lange in Österreich lebenden Schüler:innen und ihren Familien nach Georgien und Armenien am 28.1.2021 reagieren unterschiedliche Initiativen mit Protesten.

Am 9.9.2020 steht das griechische Lager Moria, in dem mehrere tausend Geflüchtete unter furchtbaren Bedingungen untergebracht waren, in Flammen. In vielen europäischen Städten, so auch in Wien, gibt es Spontandemos, die die Evakuierung von Moria und die Aufnahme der Geflüchteten in anderen EU-Staaten fordern.

In Österreich wird die fünfzehnte Frau* im Jahr 2020 Ende Juli ermordet.  Aus diesem Anlass findet am Tag darauf eine Demo gegen Femizide statt, kein Mord an einer FLINT-Person soll mehr unkommentiert bleiben.

Ende Juni 2020 wird eine Versammlung kurdischer Feminist:innen und das Ernst Kirchweger Haus von Nationalisten angegriffen. An mehreren darauffolgenden Tagen demonstrieren hunderte Menschen gegen die rechtsextremen Attacken.

Im Herbst 2020 kam es in der Türkei zu Verhaftungswellen von HDP- und ESP-Mitgliedern. In Wien wurden deswegen spontane Kundgebungen abgehalten.

So unterschiedlich die Themen der Versammlungen auch sind, ihnen ist jedenfalls gemein, dass die (vermeintlichen) Veranstalter:innen für die Organisation der Versammlungen bestraft wurden. Verwaltungsstrafen wurden nach dem § 2 Abs 1 Versammlungsgesetz ausgestellt, weil es entweder nicht möglich oder nicht erwünscht war, die Versammlung 48 Stunden vor ihrem Stattfinden polizeilich anzuzeigen. Auch „verspätete“ Anzeigen hatten eine Verwaltungsstrafe zur Folge. Die meisten Verfahren sind bei den Verwaltungsgerichten anhängig und noch nicht abgeschlossen. Vereinzelt akzeptierten die Veranstalter:innen eine Geldstrafe oder eine „Ermahnung“ in erster Instanz. Beim Verfassungsgerichtshof ist die Bestimmung – soweit bekannt – noch nicht bekämpft worden.

Verbotszonen-Regelung

Die andere Verschärfung des Versammlungsrechts betrifft die Örtlichkeiten, an denen Versammlungen abgehalten werden dürfen. Die Polizei darf jetzt bestimmen, ob Versammlungen nebeneinander stattfinden dürfen oder nicht.

Die sogenannte „Schutzbereich“-Regelung wurde vom Verfassungsgerichtshof geprüft, aber nicht aufgehoben. Strafen wurden wegen dem § 7a Versammlungsgesetz zwar bereits ausgestellt – und das an alle Teilnehmer:innen von bestimmten Versammlungen, nicht nur an die Veranstalter:innen. Jedoch ist uns kein Fall bekannt, wo tatsächlich eine Strafe bezahlt werden musste. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes besagt – kurz gefasst -, dass die Behörde jeweils im Einzelfall prüfen muss, ob sie einen Schutzbereich festlegt oder nicht.

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes zur „Schutzbereich“-Regelung:

VfGH 26.06.2020, E554/2019

Aus der Entscheidung: „§7a VersG – insbesondere dessen Abs 3 – statuiert – im Gegensatz zum absoluten Höchstumfang von 150 Metern gemäß §7a Abs2 zweiter Satz VersG – keinen absolut geltenden Mindestumfang, sondern trifft eine Regelung für die Fälle, in denen die Versammlungsbehörde von der ausdrücklichen Festlegung eines anderen Schutzbereichs abgesehen oder einen Schutzbereich noch nicht festgelegt hat bzw nicht festlegen konnte.

Durch diese Regelung wird jedoch die Behörde nicht von ihrer gemäß §7a Abs2 VersG bestehenden Verpflichtung entbunden zu überprüfen, welcher „Schutzbereich“ für die Versammlung „unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, der Anzahl der erwarteten Teilnehmer sowie des zu erwartenden Verlaufes“ – also unter Berücksichtigung der Gegebenheiten der jeweils angezeigten Versammlung – angemessen und auch erforderlich ist. Das absolut geltende Versammlungsverbot im Schutzbereich einer rechtmäßigen – also dem Versammlungsgesetz entsprechend angezeigten – Versammlung, wird stets somit im Einzelfall zu ermitteln sein; insoweit eine Festlegung des Schutzbereichs ausdrücklich erfolgt, kann dieser null bis 150 Meter um die Versammlung betragen.

Mit dieser Regelung wird gerade im Falle gleichzeitig stattfindender Versammlungen mit unterschiedlichen Positionen und gegensätzlichen Meinungen deren Abhaltung, somit die Ausübung des Versammlungsrechts aller, gewährleistet.

Dass nicht angezeigte (Spontan-)Versammlungen vorerst von Gesetzes wegen einen Schutzbereich von 50 Metern im Umkreis um die Versammelten hinzunehmen haben, ist vor dem Hintergrund und dem Verständnis dieser Regelung im dargestellten Sinn jedenfalls nicht unverhältnismäßig; selbst in solchen Fällen obliegt es der Versammlungsbehörde, sich innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die konkreten Umstände zu verschaffen und gegebenenfalls einen anderen Schutzbereich ausdrücklich festzulegen.“

VfGH 18.06.2020 , V91/2019

Solltet ihr auch Strafen wegen dieser Regelungen bekommen haben, freuen wir uns über die Zusendung von kurzen Berichten, damit diese Informationen gesammelt veröffentlicht werden können!